Rede des Präsidenten zur internationalen Lage 9.12.24, anlässlich der Adventsfeier des Clubs

Ich beginne mit einer sehr skeptischen Perspektive – ohne allerdings bei ihr stehen bleiben zu wollen.

 

Meine kurze Reflexion zur politischen Lage transportiert eine Skepsis und ein Unbehagen, zu dem ich mich bekenne.

Ich bin besorgt, dass die islamistische Gefahr uns weiter heimsuchen wird.

Ich bin besorgt, dass China unter Xi Jinping, angesichts ideologischer Verhärtungen und wirtschaftlicher Rückschläge sich noch weiter von der Politik der Zurückhaltung und Mäßigung eines Deng Xiaoping entfernt.

Und ich bin besorgt, dass der russische Neoimperialismus zur Destabilisierung der europäischen Friedensordnung führen könnte.

Deshalb kann man durchaus wie in der Bismarck-Ära sagen: Gefahr im Verzug, periculum in mora.

Das ist zwar kein adventlich-weihnachtlicher Einstieg, aber ein m.E. notwendig realistischer.-

 

Man kann wohl zurecht sagen, dass wir Zeitzeugen einer entstehenden neuen Weltordnung sind. Das Zeitalter der Dominanz der USA nach 1990 – als einzigem Pol in der Weltpolitik – scheint im Verschwinden begriffen zu sein.   Autokratische Mächte wie China, Russland, Iran, Nordkorea befinden sich im Aufwind. Der so genannte globale Süden bringt sich in Stellung und als Gegner fungiert der globale Westen – dessen Zukunft mit der neuen Administration in den USA ab Januar 25 im Ungewissen liegt. Die entstehende neue Weltordnung – von unserem Referenten Carlo Masala als WeltUNordnung bezeichnet – zeichnet sich durch eine stärkere Konkurrenz der Systeme aus und durch das Fehlen oder Nicht-mehr-Anerkennen von internationalen Ordnungsstrukturen. Und besonders auffallend ist das Aufkommen von Kriegen, nicht nur von asymmetrischen Konfliktstrukturen. Wir wollen nicht davon ausgehen, dass der britische Historiker Richard Overy („Warum Krieg?“)  recht hat, wenn er schreibt, „die längste Zeit der Menschheitsgeschichte waren Gemeinschaften von Grund auf militarisiert. Krieg war etwas Selbstverständliches“

Die Europäer hoffen in dieser weltpolitischen Übergangszeit darauf, dass sie in einer neuen, so genannten multipolaren Weltordnung erneut den Status halten zu können,  ein unübergehbarer  Pol zu sein. Diese Position zu erreichen hängt einmal von einer Wende der europäischen Sicherheitspolitik ab und von der Fähigkeit – mehr oder weniger auf sich selber gestützt -, das Potenzial zu entwickeln, ein angriffsaverses Gelände zu sein, dessen Abschreckungspotential glaubhaft besteht und das Bündnis europäischer Nationalstaaten absichert, festigt und weiter intergouvernemental integriert.

Zum anderen muss Europa seine ökonomische Stärke viel stärker ins Spiel bringen und v.a weiterentwickeln, insbesondere in technischer Hinsicht. In Deutschland liegt allerdings in diesem Feld gerade vieles im Argen, ja von Niedergang und Stagnation ist da sogar die Rede. Was glaubhaft klingt, denken wir nur an Massenentlassungen, Probleme der Autoindustrien, Rückgang der Industrieproduktion und des Produktivitätswachstums, Investitionsschwächen, Sozialstaatshypertrophie usw. usf. .

Andererseits dürfen Deutschland und Europa nicht länger in einen „Amoklauf der Selbstbezichtigung“ verfallen, wie Peter Sloterdijk formuliert, nicht der Lust an der moralischen Selbstkritik verfallen oder bereitwillig sich selbst an den Pranger zu stellen für die Übel der Welt.

 

Mit anderen Worten, die Zeichen der Zeit sehen national und international nicht günstig aus. Die Prognostizierbarkeit von Entwicklungen fällt entsprechend schwer. Die Flucht in eine in Deutschland übliche Zukunftsangst liegt nahe. Das zeigt sich in Antworten auf diese Herausforderungen. Es kommt in verschiedenen Ländern zu Wahlentscheidungen nach rechts bzw. mitte-rechts. Das mag eine notwendige Korrektur sein, die nicht nur in Europa mit einer strittigen Migrationspolitik zu tun hat, die nicht mehr unter Kontrolle zu bringen war.  Der Schwenk nach rechts transportiert aber die Gefahr, dass das Pendel zu weit ausschlagen könnte. Daraus entsteht Ungemach. Doch die Wähler dieser Parteien stehen vor einem Paradox. Sie nehmen in Kauf, dass ihre Option so wirkt wie die der Nichtwähler: ihre Stimme hat so gut wie keine Chance, an den Machtverhältnissen etwas zu ändern, belasten aber sehr die Diskussionskultur und die parlamentarische Praxis durch Obstruktion, d.h. die Stimmen sind zwar machtpolitisch wertlos, schaden aber der politischen Kultur. D.h. eine intelligente Strategie in diesen politischen Formationen wäre es, sich in seinen Positionen zu mäßigen, zu deradikalisieren. Das geschieht nicht in Deutschland, aber in vielen Ländern und zeigt den Unterschied zur Zwischenkriegszeit im 20. Jahrhundert, als radikale Kräfte von links und rechts die gerade entstandenen Demokratien militant zu destabilisieren wussten. Davon sind wir immerhin weit entfernt.

 

Dennoch, umso auffallender nach allen historischen Erfahrungen, dass der Antisemitismus wieder Urstände feiert, leider auch in Deutschland. Die historisch verankerte und gewachsene Freundschaft zwischen Deutschland und Israel bewährt sich in diesen Zeiten größter internationaler Herausforderungen, was denn doch ein gutes Zeichen ist. Überhaupt beeindruckt der Selbstbehauptungswille Israels wie der der Ukraine – und beides verdient unsere deutliche Unterstützung, unsere internationale Solidarität – die bekanntlich von Parteien am rechten und linken Rand in Frage gestellt wird. Diese innenpolitische Belastung der Außenpolitik verstärkt sich entlang wachsender Zustimmungswerte für derartige Gruppierungen. 

 

Bezüglich einer neuen Weltordnung kann man wohl sagen, wir befinden uns weltweit in einer Transformationsphase, in der die Gefahr droht, dass das Recht des Stärkeren zur völkerrechtlichen Norm und Praxis wird. Die vielfach westlicherseits bemühte sog. Regel basierte Ordnung war dann spätestens im Rückblick betrachtet eine vorbildhafte Errungenschaft.  Allerdings implizierte auch der überstandene Ost-West-Gegensatz die Möglichkeit eines Nuklearkrieges. Das sollten wir nicht vergessen.

 

Diese Gefahr besteht neuerdings erneut, diesmal getragen von unberechenbaren Staaten, und so kommt es darauf an erstens gewappnet und kriegstüchtig zu sein, wie Ampel-Verteidigungsminister Boris Pistorius sagt, und nicht, wie wir nach 1990 wähnten, nicht mehr angemessen bewaffnet sein zu müssen. Wunschdenken herrschte damals vor, die Friedensdividende nach dem spektakulären Untergang der SU schien konsumierbar zu sein, das Konzept der Realpolitik, wie es der deutsche Publizist Ludwig August von Rochau im 19. Jh. innenpolitisch entwickelt hatte, war nicht mehr Bestandteil der Diplomatenausbildung oder der Internationalen Beziehungen der Politik- und Geschichtswissenschaft.  Die essentielle Aussage des Ansatzes von Rochaus  Realpolitik lässt sich zus.fassend so formulieren:

            Realpolitik ohne Moral endet im Verbrechen.

            Moral ohne Realpolitik bleibt leeres Gerede.  

Verhängnisvoll an dieser nachsowjetischen Entspannungslage in Europa war im Rückblick, dass ein backlash, die Revanchegesinnung der bereits erwähnten Staaten autoritärer Provenienz, lange Zeit übersehen oder nicht ernst genommen wurde.

Und zweitens kommt es angesichts neuer nuklearer Bedrohungslagen auf eine Politik an, die außen–, sicherheits– und verteidigungspolitisch kompetent ist, hohes Ansehen genießt und in der internationalen Arena über eine große Reputation verfügt. Die zu bewältigende Schwierigkeit liegt darin, dass eine derartige regelbasierte Weltordnung einen Hüter braucht, wie Herfried Münkler zu Recht schreibt und das sind nach wie vor die USA – womit wir in der Jetztzeit angekommen wären. Trump ante portas. Trotz der dabei aufkommenden Skepsis wegen der entstehenden US-Administration, sollte man unser okzidentales Selbstbewusstsein, unsere Selbstwirksamkeit als Europäer nicht unterschätzen. Es gibt zwar, wie wir sahen, viele Gründe besorgt zu sein, aber genauso Anlass, nicht in einen Kassandra-Komplex zu verfallen. Wir sollten die Zukunftsangst-Epidemie, von der Florence Gaub spricht, überwinden, wenn wir uns um die Fortsetzung des europäischen okzidentalen Projekts kümmern wollen.

 Mit diesem optimistischen Ausblick darf ich den Ausblick auf die internationale Szenerie abschließen.

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