Prof. Dr. Roland Kaehlbrandt
Sprachwissenschaftler und Autor
Ist das Leben zu kurz, um Deutsch zu lernen?
isso – Seniorenleicht und sehr geschmeidig!
Vortrag Prof. Roland Kaehlbrandt
Beitrag: Astrid Wiese,
Astrid Wiese,
Seniorenleicht und sehr geschmeidig!
Ein Rehabilitationsansatz für Personen fortgeschrittenen Alters? Mitnichten!
In diesem Fall handelt es sich um kennzeichnende Attribute der deutschen Sprache. Warum das so ist erläuterte Sprachwissenschaftler Prof. Roland Kaehlbrandt am 17.4.24 bei einem
Abendvortrag in der Redoute. Betitelt war der Abend mit dem Mark Twain zugeschriebenen Ausspruch: Das Leben ist zu kurz um Deutsch zu lernen.
Prof. Kaelbrandt begann seinen Vortrag mit den negativen Einschätzungen verschiedener Geistesgrößen ( Oscar Wilde, Friedrich der Große, Karl V. etc) über unsere Muttersprache. So meinte einer die Ewigkeit kennengelernt zu haben beim Erlernen der deutschen Grammatik. Ein anderer wollte in dieser harten und barschen Sprache maximal mit seinem Pferd kommunizieren ( Voltaire). Die Bedeutung der Sprache zum Beschreiben, Begreifen, Erfassen und Beurteilen unserer Lebenswelt steht außer Zweifel. Aber welche sprachlichen Konstruktionen wieviele Worte brauchen wir dafür? Prof. Kaelbrandt erläutert, dass der Grundwortschatz etwa 2000 bis 3000 Worte umfasst. Der aktive Wortschatz eines gebildeten Muttersprachlers umfasst etwa 8000 bis 20000 Worte. Doch da geht noch mehr: Goethe verfügte über 93000 Worte. Auch dies ist vergleichsweise wenig, wenn man berücksichtigt, dass im Jahr 2014 der Gesamtwortschatz 5,3 Millionen Wörter umfasste. Die deutsche Sprache weist ein staunliches Wachstum auf. So verzeichnet das Althochdeutsche ca 30000 Worte, während man im Jahr 1904 bereits 3,4 Millionen Worte zählte. Das sind aber die Faktoren für dieses beträchtliche Anwachsen des deutschen Wortschatzes? Prof. Kaelbrandt erläutert die Entwicklung aus 8000 Keimen. Durch die mannigfachen Möglichkeiten der Wortbildung entstehen die vielfältigsten Varianten, indem man wie beim Lego einen Baustein hinter den anderen setzt. Die Würde des Menschen ist un-an-tast-bar. Die Kreation eines Unantastbarkeitsbeauftragten wäre neu, aber trotzdem sofort verständlich.
Bei den Kompositionen Kinderarzt, Augenarzt, Frauenarzt muss man nur die einzelnen Grundbestandteile kennen, alles andere ist sauklar. Das französische braucht dafür komplett andere Worte pédiatre, ophtalmologiste, gynécologue.. Ein unbestreitbarer Vorteil der deutschen Sprache. Weitere Beispiele sind Wertstoffhof (Deutschland), Altstoffsammelzentrum (Österreich), Zeitgeistdackel, Clubgarnitur und viele weitere. Je nach Art der Komposition umfasst die lexikalische Bedeutung auch noch einen wertenden oder kulturellen Aspekt. Auch Martin Luther verdanken wir diverse Wortschöpfungen, die mittlerweile eine halbes Jahrtausend überstanden haben und nach wie vor verstanden werden. Dazu gehören die Begriffe Lästermaul, Denkzettel, Feuereifer und viele andere. Nicht nur deutsche Geistesgrößen entwickeln Neologismen. So waren die Zuhörer des Abends in einer Gruppenarbeit aufgefordert die Anglizismen Public Viewing und Happy Hour einzudeutschen. Man ließ sich nicht lange bitten und unter diversen Neuschöpfungen gingen die Begriffe Rudelglotzen und Vorglühstunde als Sieger hervor.
Einen weiteren Vorwurf an die deutsche Sprache wusste Prof. Kaelbrandt überzeugend zu entkräften, nämlich den der Barschheit, der Unfreundlichkeit und des Kommandotons. Er erläuterte die Bedeutung der Füllwörter. Beispiele dafür sind:
Wie heißt du denn, als freundliche Frage an ein unbekanntes Nachbarkind. Wo ist sie denn bloß, als besorgte Frage einer Mutter nach dem Verbleib ihrer halbwüchsigen Tochter. Dann mach’s halt, als eine an die Einsicht eines halbwüchsigen Sohnes apellierende Aufforderung doch endlich den mütterlichen Ermahnungen nachzukommen. Auch die Aussage von Johannes Gauck über Peer Steinbrück: “ Er weiß immer alles, gell? Spricht in diesem Kontext Bände. Diese in der gesprochenen Sprache verwendeten Füllwörter ( durchschnittlich 13 von 100) dienen der kommunikativen Modulation. Diese Partikeln bringen keinen inhaltlichen Vorteil, aber eine erhebliche atmosphärische Veränderung.
In diese Kategorie gehören auch die aus der Jugendsprache kommenden Füllsel: voll, krass, genau, aber hallo, ganz ehrlich, geht gar nicht, wie jetzt, besser isses,… Auch hier gibt’s keinen inhaltlichen, dafür aber einen emotionalen Zugewinn. Auch das kann sehr sympatisch sein. Den Nuancenreichtum und die Gelenkigkeit der deutschen Sprache demonstrierte Prof. Kaelbrandt an dem Satz: Ich habe sie gestern am Bahnhof gesehen. Sowohl durch unterschiedliche Betonung der einzelnen Worte wie durch Umstellung des Satzes kann der Sprecher eindeutige Prioritäten setzen.
Ein Nachteil der deutschen Sprache kann sich durchaus als Vorteil erweisen. Dies betrifft die Thematik der Schachtelsätze. Die Verb- und Satztklammern können sehr erfolgreich wie bei Thomas Mann in den Buddenbrooks umgesetzt werden oder auch herrlich scheitern, sozusagen syntaktisch verunfallen, wie man es bei Loriot nachhören kann. Diese gegliederten Sätze zeigen, dass Deutsch eine Sprache für Zuhörer ist. Sie verlangt Disziplin und eine erhöhte Aufmerksamkeitsspanne bei Sprechenden und beim Angesprochenen und erhöht die Anforderungen an die Denkleistung. Conclusio: wenn etwas schwierig ist, muss es noch lange nicht schlecht sein! Beinahe gegen den Wunsch der faszinierten Zuhörer beendete Prof. Kaelbrandt seinen Vortrag um noch Zeit zur Diskussion zu ermöglichen.
Prof Mayers Frage beinhaltete die Kommunikation der aktuellen Regierung. Dies sei ein trauriges Kapitel, aber leider deutsche Tradition, dass der Staat sich kaum um die integrative Wirkung der Sprache kümmerte. Die Pflege der Sprache war immer Anliegen des Bürgertums. In Frankreich sei dies komplett anders. Die Schließung der Goethe Institute sei ein Zeichen mangelnden Stolzes und fehlenden Bewusstseins für unsere Sprache. Die Abhaltung von englischen Vorlesungen für ausländische Erasmusstudenten an deutschen Hochschulen ist eigentlich ein No-Go.
Welchen Vorteil sollte denn der Auslandsaufenthalt haben, wenn nicht die Sprache des Gastlandes gelernt wird? Schließlich sollten diese internationalen Studenten als Kundschafter kommen und als Botschafter gehen. Von Deutschland finanzierte Englichkurse für den Hausmeister sind unter diesem Aspekt wenig zielführend. Eine Frage aus dem Auditorium galt dem Gendern. Prof Kaehlbrandt hatte Verständnis für den damit intendierten gesellschaftlichen Impuls, meinte aber, dass die Verfechter sich vermutlich einen Bärendienst erweisen. Diese einfügten Störer ( Sternchen, Unterstriche, etc) stören nämlich wirklich und werden von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt. Sie zersägen die Morphologie der Sprache, machen Pluralbildung und Deklinationen unmöglich und lassen gewisse Aussagen nicht mehr zu: Frauen sind die besseren Autofahrer*Innen?!?!
Prof. Kaelbrandt plädiert hier für einen Kompromiss: anstatt der Verunstaltung der Morphologie sollte man sich auf die Erwähnung der männlichen und weiblichen Formen einigen: Bäuerinnen und Bauern. Zum Abschluss brachte Prof.
Kaehlbrandt noch einige amüsante Beispiele zum Thema Imponierdeutsch, gerne im politischen Umfeld anzutreffen und Hochgeschwindigkeitsdeutsch, vielfach in der gelebten Umfangssprache im ÖPNV zu hören. Die anwesenden Club-Mitglieder konnten nicht genug bekommen und so waren die von der Parkbuchhandlung mitgebrachten Bücher sehr schnell ausverkauft. Fazit: Nach diesem wirklich inspirierenden Vortrag war auch dem letzten Zuhörer klar: Die deutsche Sprache ist viel besser als ihr Ruf!
Das ist so! Oder in Hochgeschwindigkeitsdeutsch : isso!
Einladung
Mark Twain hat behauptet, das Leben sei zu kurz, um Deutsch zu lernen. Ganz falsch! Prof. Dr. Roland Kaehlbrandt zeigt anhand sympathischer und handfester Vorzüge, wie gut die deutsche Sprache tatsächlich gebaut und wie zugänglich sie deshalb ist. Praktische Beispiele und viel Humor begleiten uns auf einem kenntnisreichen Streifzug durch die liebenswerten und nützlichen Eigenschaften einer alten und zugleich hochlebendigen Sprache. Kaehlbrandts Ende 2022 erschienenes Buch „Deutsch – eine Liebeserklärung“ wurde im Handumdrehen ein SPIEGEL-Bestseller. Es ist bereits in achter Auflage erschienen.
Prof. Dr. Roland Kaehlbrandt lehrt Sprachwissenschaft an der Alanus-Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Alfter bei Bonn. Als Sachbuchautor erreichte er mehrfach hohe Auflagen. Kaehlbrandt hat wirkungsvolle Bildungsprojekte wie den „Bundeswettbewerb Jugend debattiert“ und den „Deutschsommer“ auf den Weg gebracht. Er ist Mitglied des Kuratoriums der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.
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